Geschichtsschreibung und Belletristik#
Inhaltsverzeichnis
- Geschichtsschreibung und Belletristik
- Historiographen und Historiker
- Einseitige Geschichtsschreibung
- Weitere Historiker
- Herrscherbiografien ohne Ende
- Laudatio für die Habsburger
- Lesen - aktuelle Romane
- Zensur?
- Wienerlied - Gesungene Erzählungen
- Barocke Orthografie
- Sprachenkenntnisse
- Stillen des Fernwehs
- Enzyklopädien - Linearer Weg zur Aufklärung
Historiographen und Historiker#
Karl VI. zeigte für offene Staatsgegner Frankreichs förderliche Sympathien, wie mit dem französischen Historiografen Jean (Freiherr von Carlscroon) Dumont, der als Oppositioneller Ludwigs XIV. aus Frankreich verbannt und über Vermittlung des Hofkanzlers Sinzendorf von Karl VI. im Juli 1717 kaiserlicher Hofhistoriograf mit Jahresgehalt in Höhe 2.000 Gulden aufgenommen wurde. Sonst versammelte der Monarch eine Schar großartiger Geisteswissenschaftler bei Hof. Er förderte auch italienische Intellektuelle. Etwa Lodovico Antonio Muratori, der Verfasser der vom Kaiser finanzierten "Scriptores rerum Italicarum" (begonnen 1723 und heute noch ein unersetzliches Quellenwerk!), oder den aus Unteritalien gebürtige Pietro Giannone, der 1723 in Neapel eine vierbändige Geschichte des Königreiches Neapel herausbrachte. Ein bereits fortschrittliches Geschichtskompendium, das sich von den üblichen Geschichtswerken des 18. Jahrhunderts völlig unterschied –, dem Kaiser gewidmet und von ihm begeistert gelesen wurde. Giannone, vom Erzbischof von Neapel anfangs kritisiert und verurteilt, erhielt am Wiener Hof eine Anstellung mit einem jährlichen Sold in Höhe von 1.000 Gulden und blieb elf Jahre in Wien.Die Hof- und Staatsgeschichtsschreibung erforderte hervorragende Kapazitäten und die zu finden verstand der Kaiser, obwohl solche Gelehrte damals wahrlich rar waren. Ein geistig-intellektueller Mittelpunkt entfaltete sich um Karl VI. und Prinz Eugen. Allerdings teils unabhängig und in versteckter Konkurrenz zueinander.
Einseitige Geschichtsschreibung#
Allerdings Geschichtsschreibung war damals diffizil. Die Autoren hatten gefälligst, allergnädigst habsburgerfreundlich zu schreiben. Kritik oder verbale Feststellungen zu tätigen stand ihnen nicht im mindestens zu. Die Zeitgenossen pflegten eine pathetische Sprache hinzugeben ohne sich persönlich inhaltlich daran zu halten. Mit anderen Worten. Sie gaben zu viel an und kümmerten sich nicht mehr um wirkliche wahrhafte und ehrenbewegende Gepflogenheiten. Wenn ein pathetisch veranlagter Historiker oder Historiograph so eine Phrase in Schriftenstücken entdeckt, setzte er sie sozusagen, um sein Werk lebend zu gestalten, in sein Werk hinzu.Weitere Historiker#
Herrscherbiografien ohne Ende#
Herrscherbiografien zu verfassen, war damals im Widerschein des "Tugendspiegels" und der peinlich-verdrehten Panegyrik üblich. Baron Dumont erstellte noch vor seinem Tod 1727 im Auftrag des Kaisers ein handschriftliches Konzept "Histoire de Charles VI. empereur des Romains". Der Jesuitenpater Franz Wagner, der bereits Jahre vorher eine zeitlos gültige Lebensbeschreibung über Kaiser Leopold I. ablieferte, schuf "Vorarbeiten", die jedoch aus den gleichen naturgegebenen Ursachen nicht mehr in das Stadium der Vollendung gelangten. So blieb nur mehr der erwähnte Spannagel übrig, der seit Januar 1727 als kaiserlicher Hofhistoriograf tätig war. Als Resultat produzierte er eine achtbändige (!) lateinische Karl VI.-Biografie, die zwar 1741 vollendet, aber wohl aus Geldmangel nicht mehr als Druckwerk publiziert wurde.Über Kaiser Karl VI. hatte damals kein zeitgenössischer Historiograph eine klassische Biographie geschrieben. Das kam erst nach dessen Ableben zustande. Offenbar galt er zu Lebzeiten in den Augen der damaligen Historiker als uninteressant und farblos – eher waren da schon sein Vater Leopold I. und sein Bruder Joseph I. sowie Prinz Eugen als Sieger über die Osmanen schon wesentlich erwähnenswerter. Hat auch viel Action. Schriftlich abgefasste Biographien über Karl VI. kamen kaum ins Stadium der Vollendung. Oder hatte der Kaiser aus Gründen der Zensur seine ihm gewidmeten Darstellungen irgendwie abgelehnt? Zeitgenössische Darstellungen haben den Nachteil, unterwürfig den Landesherrn verfasst worden zu sein. Das schmälert den Wert der Quelle nicht, sondern sie ist eher kritisch zu behandeln.
Laudatio für die Habsburger#
1736 erteilte Karl VI. dem Benediktinerpater Marquard Herrgott – seit 1728 in Wien, seit 1736 kaiserlicher Rat und Hofhistoriograf – von der Gelehrtenakademie St. Blasien in Vorderösterreich – er studierte bei den Benediktinern in St. Germain-des-Prés bei Paris – den Auftrag zu einem Geschichtswerk über Habsburger und Österreich. Es entstand ein würdiges Monument geschichtlicher Forschertätigkeit im österreichischen Hochbarock: Das "Monumenta Augustissimae Domus Austriae". Maria Theresia befahl, diese Publikationsreihe, die wirklich allerletzte grandiose Laudatio in Buchform aus der Barockzeit als Andenken an ihren Vater, in den 1750er Jahren zum Abschluss bringen zu lassen.Der Kaiser ordnete die Öffnung und Untersuchung der Herzogsgruft in der niederösterreichischen Kartause Gaming (beim Ötscher) durch Pater Marquard Herrgott im Sommer 1739 an. Im September erhielt der Kaiser von diesem Wissenschaftler ein "Notariatsinstrument" mit den Untersuchungsergebnissen über die Gebeine seiner mittelalterlichen Vorfahren, das er wohl interessiert durchgelesen haben mochte.
Lesen - aktuelle Romane#
Der Kaiser betrieb eifrig das Studium der Geschichte Spaniens, Österreichs, Europas, der gesamten Welt. Er wird doch nicht immer wissenschaftliche Literatur gelesen haben? Schöngeistige lesbare Erzählkunst wird doch auch seinen Geist erquickt haben? Die Literatur seiner Epoche erfreute sich auch großer Behäbigkeit. Er mochte sicherlich gleichfalls mit der zeitgenössischen in- und ausländischen Belletristik vertraut gewesen sein. In Barcelona – während der Kriegspausen – las er, um sein Spanisch zu vertiefen, die tragisch-heiteren Geschichten des "Don Quijote von La Mancha", verfasst von Miguel de Cervantes Saavedra. Später gab es noch massive Spielarten literarischen Schaffens: Daniel Defoe veröffentliche 1719 "Robinson Crusoe" und 1722 "Moll Flanders", Jonathan Swift brachte 1726 "Gulliver's Travels" zur Veröffentlichung anonym heraus. Ein sympathischer wie ungewöhnlicher Roman, der den britischen Absolutismus mitsamt dem korrupten Regierungssystem kritisch anprangerte. Der antihabsburgische Autor karikierte angeblich Kaiser Karl VI. als König von Liliput, dem Land der Däumlinge – oder den britischen König Georg I. Jedenfalls wurde das Buch in der Hofbibliothek vorläufig – offiziell – nicht aufgestellt ... Dann gab es noch den deutschen Dichter und Schriftsteller Johann (Hans) Jakob Christoffel von Grimmelshausen (c. 1622 – 1676), der mit seinen "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" (1669) ein bedeutendes literarisches Dokument der Barockzeit und eine erste moderne realistische Wiedergabe der Zeit- und Sittengeschichte, schuf.Zensur?#
Ob Karl VI. Zensur betrieb? Ob er Bücher auf den Index setzte? Wohl war eine Zensur damals sowieso nicht so nötig, weil die Zahl der Gebildeten sowieso in Grenzen blieb ... Natürlich kontrollierte er Bücher, die seine Person und die des Hauses Habsburg im Mittelpunkt hatten. Andererseits standen Bücher mit Irrtümern, die unerlaubt unter Patronanz des Kaisers gesetzt wurden ehest auf der Zensurliste.Parallel gab es dazu für die aus Italien stammenden Einwohner eine eigene periodisch erscheinende Zeitschrift.
Ich fand einmal eine skurrile Meldung im "Diarium" über Diplomaten und Prominente, wie sie oft Wien besuchten. Diesmal hieß es: "Niemand kommen." Der Herausgeber hatte sogar mitgeteilt, dass niemand Wichtiger nach Wien gekommen sei. Von heute betrachtet: Beinahe beunruhigend.
Wienerlied - Gesungene Erzählungen#
Weil die meisten Menschen weder des Lesens noch des Schreibens kundig waren, wurde das zur Basis des Wienerliedes, das damals im Barock möglicherweise seine Geburtsstunde hatte. Die sogenannten Bänkelsänger bewirkten das. Auf einer Tafel wurden einzelne Bilder - auch unter Umständen Karikaturen - zu einem markanten Ereignis geboten. Generell Sex and Crime - ist heute auch nicht anders. Der Sänger wies während er die einzelne Strophe lamentierte, mit einem Zeigestab auf die jeweilige Szenerie. Mord, Raub, Eifersuchtsdramen usw. Schockiert oder berührt sahen die Menschen das, interessierten sich für die wahren Ursachen sowieso nicht und der Bänkelsänger kassierte einige Kreuzer.Barocke Orthografie#
Wenn ich mich mit der Rechtschreibung im deutschen Barock auseinandersetze, entdeckte ich die Merkwürdigkeiten, dass das Barockdeutsch überhaupt nicht die geringsten Konzepte einer Grammatik und Orthographie anzubieten hatte. Mich wundert es so, dass die gebildeten Zeitgenossen, überhaupt verstanden hatten, was ein jeglicher niedergeschrieben hatte. Das lag an der gewohnheitsmäßigen Akzeptanz aller Dinge der Epoche. Die Basis für das damalige "Teutsch" wurde in der Reformation eher unbeabsichtigt denn beabsichtigt durch Martin Luther festgelegt – und das war 1534 fortfolgend. Die Verbreitung mithilfe des Buchdrucks tat sein Übriges. Seine ins "Deutsch" übertragenen Bibel wurde zur Basis zur Kommunikation auf allen Gebieten: "Biblia, das ist die gantze Heilige Schrifft." Dieses eindrucksvolle Werk schaffte eine enorme Verbreitung in allen Gesellschaftsschichten und prägte durch ihren sprachlichen Variantenreichtum das Deutsch über Jahrhunderte, bis in die Zeit Karls VI. und darüber hinaus. Endlich schrieben sie so, wie sie miteinander sprachen. Dazu sei noch erwähnt, dass Theologie und Wissenschaft sich dem Latein bedienten. Man muss sich vorstellen, dass das Latein dem Benützer eine Überlegenheit gegenüber dem Ungebildeten in der Masse darstellte…Sprachenkenntnisse#
Damals gehörte Deutsch und Spanisch zur offiziellen Sprache am Kaiserhof Karls VI. Seit der Feindschaft mit Ludwig XIV. war Französisch nicht sehr gefragt gewesen. Zeitgenossen meldeten jedoch auch, dass der Kaiser es wirklich schätzte, wenn das Italienisch im Vordergrund dominierte. Karl VI. begründete dies damit, dass er damit auch symbolhaft die Oberhoheit der spanischen Besitzungen auf italienischen Boden unterstrichen hatte. In Diplomatenkreisen gehörte Französisch zur wichtigsten Kommunikationsform. Dolmetsche wurden etwa bei Verhandlungen mit osmanischen Abgesandten eingesetzt.Wahrscheinlich lag auf dem Schreibtisch des Kaisers auch ein Exemplar der periodisch erscheinenden Zeitung "Wiennerisches Diarium". Eine 1703 gegründete Zeitung, offizielles Medium des Wiener Hofes, das über Ereignisse im Habsburgerreich sowie damalige "Welt" berichtete. Viel später wurde daraus die heute bestehende "Wiener Zeitung". Ich fand einmal eine skurrile Meldung über Diplomaten und Prominente, wie sie oft Wien besuchten. Diesmal hieß es: "Niemand kommen." Frei übersetzt: Der Herausgeber hatte sogar mitgeteilt, dass niemand Wichtiger nach Wien gekommen sei. Von heute betrachtet: Beinahe beunruhigend.
Dazu gab es in Wien auch periodisch herausgegebene italienische Gazetten.
Stillen des Fernwehs#
Es war freilich nicht nur die Buchkultur in seiner Epoche in großartigster Weise erblüht, sondern auch das ehrliche Interesse an der großen weiten Welt. Die Astronomie erwähnte ich bereits. Die bis damals bekannte Welt endete nicht an den imaginären Staatsgrenzen des Reiches Karls VI. Um das Fernweh irgendwie zu stillen, gab es hervorragende Landkarten als umfangreiche Stichdrucke. Einer der berühmtesten Kartographen war in Johann Baptist Homann zu sehen. Geboren 1664 in Nürnberg, Protestant, Notar und endlich Kupfer- und Landkartenstecher und verstarb 1724. Kurz nach der Wende zum 18. Jahrhundert brachte er als Händler und Verleger zahlreiche Globen und Karten heraus. Sein Ruf war so enorm, dass er 1715 Mitglied an der Königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin wurde. Der Bekanntheitsgrad reichte bis nach Wien, wo Kaiser Karl VI. den Verleger – trotz dessen lutherischen Bekenntnis – zum offiziellen kaiserlichen Geographen ernannt hatte. Homann brachte 1716 den Grossen Atlas über die ganze Welt in 126 Blättern und drei Jahre hernach den Atlas methodicus in 18 Blättern. Nach der fiktiven Reisebeschreibung eines Johann Andreas Schnebelin schuf er sogar die Phantasiekarte accurata tabulae utopiae vom Schlaraffenland. Zu Homanns Angeboten gehörten auch angefertigte Armillarsphären und weitere mechanische Kunstwerke. Homann unterbot sogar die Preise der holländischen und französischen Verleger.
Enzyklopädien - Linearer Weg zur Aufklärung#
Der Kaiser unterstützte auch die posthume Neuherausgabe von Geschichtswerken wie das von Andreas Lazarus von Imhof (geb. 1656, gest. 1704) verfasste mehrbändige "Neu=eröffneten Historischen Bilder=Saal … HISTORIÆ UNIVERSALIS …"